Ein neues Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 24.10.2024 (Aktenzeichen: 24 U 54/24) liefert eine spannende und für viele Praktiker wichtige Entscheidung zu einem modernen Betrugsfall: Was passiert, wenn ein schriftlicher Vergleich auf dem Postweg manipuliert wird und die Zahlung auf ein falsches Konto fließt? Wer trägt das Risiko – der Gläubiger oder der zahlungswillige Schuldner?
Die Fakten des Falls: Der manipulierte Vergleich
Der Fall drehte sich um einen Pflichtteilsanspruch. Die streitenden Parteien, vertreten durch ihre Rechtsanwälte, einigten sich außergerichtlich auf eine Abfindungszahlung von 30.000 €. Die Anwälte schickten sich den schriftlichen Vergleich per Post zu. Doch auf dem Postweg geschah etwas Unvorhergesehenes: Ein unbekannter Dritter manipulierte die zweite Seite des Vertrags und ersetzte die korrekte Bankverbindung der Klägeranwältin durch die eines Betrügers.
Der Anwalt der Beklagten (der Zahlungspflichtigen) unterschrieb den manipulierten Vertrag und schickte ihn zurück, ohne die Änderung zu bemerken. Anschließend überwies er die 30.000 € brav – aber auf das falsche Konto. Das Geld war verloren. Die Klägerin, die nie ihr Geld sah, verklagte daraufhin die Beklagten erneut auf Zahlung.
Das Landgericht Köln wies die Klage zunächst ab. Es argumentierte, die Klägeranwältin hätte den zurückgesendeten, unterschriebenen Vertrag überprüfen müssen. Da sie dies unterließ, habe sie fahrlässig den Betrug ermöglicht und müsse sich das so zurechnen lassen, dass die Zahlung auf das falsche Konto als Erfüllung gewertet werden könne.
Die Wende: Das OLG Köln gibt der Klägerin recht
Das OLG Köln hob diese Entscheidung auf und verurteilte die Beklagten zur Zahlung der 30.000 € plus Zinsen. Die Begründung des Gerichts ist eine klare Absage an eine überzogene Prüfpflicht des Gläubigers:
- Keine Zurechnung der manipulierten Erklärung: Das Gericht stellte klar, dass der Klägerin die manipulierte Kontoverbindung nicht zugerechnet werden kann. Die Anwältin hatte ihre Willenserklärung (das unterschriebene Vertragsangebot) korrekt per Briefpost abgegeben. Dass ein Dritter diese auf dem Transportweg manipulierte, fällt nicht in ihren Risikobereich. Sie durfte darauf vertrauen, dass die Briefpost sicher ankommt.
- Keine Pflicht zur erneuten Prüfung: Das OLG lehnte es ab, der Anwältin eine Pflicht aufzuerlegen, den zurückgesandten, vom Gegner unterzeichneten Vertrag noch einmal akribisch auf Manipulationen zu überprüfen. Eine solche Pflicht würde den Rechtsverkehr unverhältnismäßig erschweren. Wer sollte damit rechnen, dass ein rechtskräftig erscheinender, per Post übersandter Vertrag manipuliert wurde?
- Keine Pflicht zur Nutzung des beA: Die Beklagten hatten argumentiert, die Klägeranwältin hätte den sicheren Weg des „besonderen elektronischen Anwaltspostfachs“ (beA) nutzen müssen. Das OLG verneinte eine solche Pflicht im außergerichtlichen Schriftverkehr. Die Wahl der Briefpost sei rechtmäßig und üblich.
- Der Vertrag ist wirksam – aber für das richtige Konto: Entscheidend war die Frage: Ist der Vertrag überhaupt zustande gekommen? Ja, sagte das OLG. Die Einigung war im Kern erzielt: Höhe der Zahlung, Verzicht auf weitere Ansprüche. Nur die Kontodaten waren nicht konsensfähig. Da es sich dabei nicht um einen essentiellen Vertragsbestandteil handelt, ist der Vertrag dennoch wirksam. Die Zahlung war aber an die Anwältin der Klägerin zu leisten, nicht an einen Dritten. Da dies nicht geschah, ist die Forderung der Klägerin nicht erloschen.
Praktische Lehren aus dem Urteil
- Risikoverteilung: Das Risiko einer Manipulation auf dem Transportweg trägt grundsätzlich der Schuldner. Bevor er eine Zahlung leistet, sollte er in kritischen Fällen die Bankverbindung auf einem zweiten, unabhängigen Weg (z.B. telefonisch) bestätigen.
- Sensibilität für Bankdaten: Das Urteil ist eine Erinnerung an die immense Bedeutung von Bankverbindungen. Jede noch so kleine Änderung sollte hellhörig machen.
- Vorteil elektronischer Kommunikation: Auch wenn keine Pflicht besteht, zeigt der Fall die Vorteile des beA. Elektronisch signierte und verschlüsselt übermittelte Dokumente sind deutlich fälschungssicherer als Papierpost.
- Für den Rechtsverkehr: Das Urtel stärkt die Verlässlichkeit von Willenserklärungen. Man muss nicht ständig damit rechnen, dass zugesandte Dokumente manipuliert sind.
Ausblick: Die Revision ist zugelassen
Das OLG Köln hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Es sieht die Frage, ob § 120 BGB (der die unrichtige Übermittlung regelt) auch bei bewussten Manipulationen durch Dritte anzuwenden ist, als höchstrichterlich nicht geklärt und von grundsätzlicher Bedeutung an. Es bleibt also spannend, ob der BGH die Kölner Linie bestätigen wird.
Fazit:
Das OLG Köln hat ein klares Signal gesendet: Der Gläubiger muss sich nicht jedes denkbare Betrugsrisiko zurechnen lassen. Wer vertragstreu handeln will, trägt auch eine Mitverantwortung, die Richtigkeit der Leistungsempfängerdaten sicherzustellen. Bis zu einer möglichen Entscheidung des BGH bietet dieses Urteil eine wichtige Orientierungshilfe in einer Zeit, in der Betrugsmaschen immer raffinierter werden.